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Wieso Deutschland nicht Texas ist aber Texas eine Insel

Flächenmäßig ist Texas etwa doppelt so groß wie Deutschland, dafür leben in Deutschland etwa doppelt so viele Einwohner:innen. Schaut man aber auf die elektrische Leistung, die beide Länder im Höchstfall beziehen, sind beide Länder überraschend ähnlich. Beide beziehen in der Spitze bis zu 80 GW. Sowohl in Deutschland als auch in Texas ist die Windenergie der dominierende erneuerbare Erzeuger: Während Texas gut 30 GW installiert hat, kommt Deutschland auf ca. 53 GW.


Texas wurde im Februar diesen Jahres von tragischen Blackouts heimgesucht. Über 100 Menschen starben im Zusammenhang mit den Blackouts.[1] Fälschlicherweise wurde dies in einer ersten Reaktion diesseits und jenseits des Atlantiks der Windenergie in die Schuhe geschoben. Doch was war geschehen? Und könnte ein derartiger Blackout auch in Deutschland passieren? Insbesondere, wenn wir doch fast doppelt so viel Windenergie bei gleicher Bezugsleistung installiert haben?


Was war geschehen?


Zwischen dem 13. und 17. Februar 2021 bricht ein heftiger Wintersturm über Texas herein. Der Polarwirbel war zusammengebrochen und ungewöhnlich kalte Temperaturen von bis zu -20°C und viel Schneefall treffen den südlichen Bundesstaat der USA schwer. Der Erdgasbezug für Heizung ist auf einem Allzeithoch, zudem steigt der Stromverbrauch durch elektrische Heizungen massiv an. In der Lastspitze passiert es dann: Es fehlen 10 GW an Erzeugungsleistung, das Stromnetz gerät aus dem Gleichgewicht und der staatliche Netzbetreiber ERCOT sorgt durch gezielte rollierende Blackouts dafür, dass Kraftwerke und Stromnetz nicht dauerhaft beschädigt werden. Große Teile des Bundestaates sind nun ohne Strom; 4.5 Millionen Menschen sind direkt betroffen. Es dauert bis zu 4 Tage, bis das Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Erzeugung wieder hergestellt ist und alle Landesteile wieder zuverlässig mit Strom versorgt werden können. [2]


War es die Windkraft?


Die Windenergieerzeugung in den Tagen vor dem Blackout war mit gut 15% Beitrag zur Stromversorgung nicht sehr hoch. Einige Windenergieanlagen konnten durch Vereisung der Flügel keinen Strom erzeugen. Der Hauptgrund hierfür war allerdings, dass – hier ist der Begriff Wintersturm missverständlich – schlicht nicht sehr viel Wind geweht hat. Bei republikanischen Politikern war also schnell der Sündenbock gefunden: Die Windkraft muss an allem schuld sein! Niedrige Einspeisung von Windenergieanlagen sind aber keine Seltenheit und können gut vorhergesagt werden. Alles kein Grund für einen Blackout also. Ein Blick auf die Erzeugungskurve vor und während der Blackouts zeigt die wahren Verursacher.



In der Nacht von Sonntag zu Montag kurz nach 1 Uhr übersteigt die Nachfrage das Angebot. Plötzlich brechen Gas-, Kohle-, und Kernkraftwerke um jeweils 25% ein. Mit einem Schlag geht eine Erzeugungsleistung von etwa 15-20 GW an konventionellen Energieträgern vom Netz. Zeitgleich geht auch ca. 3-4 GW Winderzeugung vom Netz. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass gut 5-mal so viel konventionelle Erzeugungsleistung nicht verfügbar war, wie erneuerbare Erzeugungsleistung.


Für den Versorgungsengpass gibt es verschiedene Gründe[3][4]

  • Gefördertes Erdgas wird in Texas direkt verbraucht, die Erdgasspeicher sind sehr klein. Gleichzeitig werden Haushaltskunden prioritär versorgt, deren Heizungen laufen bei den klirrenden Nachttemperaturen auf Hochtouren. Streckenweise steigt dadurch der Gaspreis so stark an, dass die Strompreise auf das 180-Fache des Durchschnittspreises steigen. Den Gaskraftwerken geht schlicht der Brennstoff aus und gehen in die Knie.

  • Der Verbrauchspeak in Texas ist normalerweise zur Sommerzeit, hervorgerufen durch die zahlreichen Klimaanlagen. Traditionell befinden sich große Teile der Kraftwerksflotte in den Wintermonaten deshalb in Wartung. Einen Regulator im europäischen Sinne, der gewisse Reserven für Notfälle am Netz halten könnte, gibt es nicht.

  • Das texanische Energiesystem ist stark liberalisiert, dereguliert und auf kurzfristige Gewinne getrimmt; Technische Standards und Regulation sind verpönt. Das hat zur Folge, dass die Infrastruktur marode ist. Pipelines und Infrastruktur fallen aus, da Armaturen eingefroren sind und Pumpen bei den ungewöhnlich niedrigen Temperaturen nicht so viel Gas fordern können, wie benötigt.

  • Geht es einmal los mit Blackouts, kommt es zu einem Dominoeffekt. Kraftwerke und Pipelines benötigen Hilfsströme für den Betrieb. Fehlen diese, so gehen auch diese Erzeugungseinheiten außer Betrieb. Der Leistungsabfall der Windenergieanlagen und wahrscheinlich auch der Leistungsabfall der Kohle- und Kernkraftwerke nach dem 15. Februar lässt sich hierdurch erklären.


Der wahre Grund für den Blackout liegt aber anderswo[5]


Diese Punkte erklären, wieso es in Texas zu einer Unterversorgung gekommen ist. Wieso daraus ein Blackout wurde, zeigt sich im Aufbau des texanischen Stromnetzes. Das texanische Stromnetz ist aus politischen Gründen ein Inselnetz. Das heißt es gibt kaum (nennenswerte) Netzverknüpfungen an die Stromnetze der angrenzenden Bundesstaaten. Nur so konnte Texas Bundesgesetze umgehen und die Deregulierung so weit vorantreiben, wie es das in den vergangenen Jahren getan hat.


Normalerweise stützen sich Stromnetze gegenseitig, um regionale Unterschiede ausgleichen zu können. Selbst größere Versorgungsengpässe oder kurzfristige Kraftwerksausfälle können so kompensiert werden. So besitzt Deutschland Netzverknüpfungen mit einer Kapazität von 25 GW mit seinen Nachbarstaaten. Gemeinsam sind die europäischen Länder in ein übergreifendes Verbundnetz integriert. Dieses Verbundnetz dient nicht nur der Sicherung der Versorgungssicherheit, sondern ermöglicht auch einen europäischen Stromhandel. Wenn wir in Deutschland gerade viel Windstrom erzeugen, exportieren wir diesen Strom großzügig an die Nachbarländer. Dort kann er teureren Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken verdrängen.


Ein wunderbares Beispiel europäischer Kooperation[6][7]


Ein wunderbares Beispiel, wie das europäische Verbundnetz Blackouts verhindern kann, gab es am 8. Januar 2021 um genau 14:04 Uhr. In Kroatien schaltet sich aufgrund eines technischen Defekts ein Umspannwerk aus. In einem Bruchteil einer Sekunde gehen zwei weitere Umspannwerke in der Region in die Knie.


In weniger als 50 Sekunden trennt sich das Europäische Verbundnetz in zwei Teile auf: Ein Nordwestnetz (alles westlich von Kroatien) und ein Südostnetz (alles östlich von Kroatien). In den Teilnetzen herrscht schlagartig ein Ungleichgewicht an Erzeugung von 6,3 GW. Diese fehlen im Nordwestnetz und sind zu viel im Südwestnetz. Dies ist ein Ereignis, welches für die Netzstabilität ein sehr viel akuteres Problem darstellt als ein Versorgungsengpass (siehe Texas), der sich schon einige Tage im Voraus ankündigt. Das Stromnetz ist durch dieses Ereignis am Limit, aber es kommt lediglich zu Frequenzschwankungen im Toleranzbereich und zu kleineren Blackouts auf dem Balkan, insbesondere in Rumänien. Aus Österreich gibt es Berichte von flackernden LEDs.


Was war hier anders?


Mit den Spannungsschwankungen läuft eine europaweite Maschinerie an Gegenmaßnahmen an.


Im Nordwestnetz fehlen 6,3 GW, hierfür werden:

  • In Italien und Frankreich im großen Stil Industriekunden (1,7 GW) abgeschaltet

  • Aus den Teilnetzen Skandinavien und Großbritannien 500 MW bezogen

  • Ausreichend zusätzliche positive Regelleistung bereitgestellt

Im Südostnetz besteht ein Überschuss an 6,3 GW, hierfür werden:

  • In der Türkei 700 MW Leistung vom Netz genommen

  • In Südosteuropa zahlreiche Kraftwerke kontrolliert vom Netz getrennt

  • Ausreichend zusätzliche negative Regelleistung bereitgestellt

So können größere Blackouts erfolgreich verhindert werden. Nach einer Stunde und 3 Minuten sind die Teilnetze wieder synchronisiert und die Stromversorgung in Europa läuft wieder gesichert.


Wieso Blackouts wie in Texas in Deutschland unwahrscheinlich sind


Der texanische Blackout hatte nichts mit der Windenergie zu tun, vielmehr hat er systematische Gründe: Deregulierung, vernachlässigte Infrastruktur und schlechtes Management des Kraftwerksparks zusammen mit außergewöhnlichen Wetterereignissen sorgten für ein explosives Gemisch, welches durch die fehlende Integration in die Stromnetze der Nachbarstaaten nicht kompensiert werden kann. Deutschland ist durch eine weitreichende Integration in das europäische Verbundnetz und durch eine sehr viel strengere Regulierung deutlich besser aufgestellt, um eine ähnliche Katastrophe zu verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, dass es also beim nächsten größeren Vorfall bei flackernden LEDs in Österreich bleibt, ist also sehr hoch.

[1] https://apnews.com/article/hypothermia-health-storms-power-outages-texas-ffeb5d49e1b43032ffdc93ea9d7cfa5f [2] https://www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=46836 [3] https://www.washingtonpost.com/politics/2021/02/16/energy-202-how-bitter-cold-snap-is-crippling-power-texas/ [4] https://www.texastribune.org/2021/02/16/natural-gas-power-storm/ [5] https://www.theguardian.com/us-news/2021/feb/20/texas-power-grid-explainer-winter-weather [6] https://www.netzfrequenz.info/allgemein/aufteilung-des-synchronnetzes-am-08-01-2021.html [7] https://www.heise.de/news/EU-Stromnetz-Umspannanlage-in-Kroatien-verursachte-beinahe-Blackout-5037378.html

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